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Gesunde Kinderaugen: darauf sollten Eltern achten

15.11.2022
Die Augenärztin Dr. Mary Asiyo-Vogel untersucht einen kleinen Jungen in Kenia.
Die Augenärztin Dr. Mary Asiyo-Vogel untersucht einen kleinen Jungen in Kenia.
  • Augengesundheit

In den ersten Lebensjahren der Kinder entwickelt sich das Sehvermögen. Es ist ein komplexes Zusammespiel von Augen und Gehirn: die Augen liefern dem Gehirn Bilder, das diese dann verarbeiten kann.

Mit frühzeitigen augenärztliche Untersuchungen – auch im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen für Kinder („U-Untersuchungen“) – lässt sich herausfinden, ob sich das Sehvermögen normal entwickelt. Denn eine lebenslange Sehschwäche kann bei rechtzeitiger Entdeckung und Behandlung verhindert werden.

Unsere Expertin, die Augenärztin Dr. Mary N. Asiyo-Vogel, gibt im Interview darüber Auskunft, worauf Eltern achten sollten und was sie vorbeugend für die Augengesundheit ihrer Kinder tun können. Außerdem erklärt sie, wie sich die Situation in Subsahara-Afrika von der in Deutschland unterscheidet und warum es dort besonders wichtig ist, dass Lehrer*innen für das Thema Augengesundheit sensibilisiert werden.

Dr. Mary N. Asiyo-Vogel bei einer augenärztlichen Untersuchung in ihrer Praxis in Lübeck
Vorstandsmitglied Dr. Mary N. Asiyo-Vogel bei einer augenärztlichen Untersuchung in ihrer Praxis in Lübeck.

F: Als ich vor nicht allzu langer Zeit mit meiner 4-jährigen Tochter bei einer Augenuntersuchung war, hat die Augenärztin darauf hingewiesen, dass Kinder täglich zwei Stunden im Freien spielen sollten. Das sei für die Augen wichtig. Warum?

Dr. M. Asiyo-Vogel: Tageslicht beeinflusst das Augenwachstum. Es verhindert, dass die Augen zu sehr in die Länge wachsen. Hinzu kommt: durch das Spielen im Freien richtet sich der Blick oft in die Ferne, was das Längenwachstum ebenfalls bremst. Wenn man dagegen meistens in Bücher oder auf das Handy schaut, orientiert sich das Augenwachstum an diesen Reizen und das Längenwachstum wird befördert.

Augen, die zu sehr in die Länge wachsen, werden kurzsichtig, weil sie nur noch auf die Nähe scharf stellen können. Das Kind kann dann in der Ferne nur noch schlecht sehen und z. B. die Schrift auf der Tafel vom hinteren Teil des Klassenzimmers aus nicht mehr lesen.

F: Viele Eltern kennen das: rote Augen, Juckreiz und ein vermehrter Tränenfluss. Warum bekommen Kinder im Krippen- und Kindergartenalter häufiger eine bakterielle Bindehautentzündung? Und was können wir Eltern vorbeugend unternehmen?

Dr. M. Asiyo-Vogel: Kinderaugen reagieren empfindlich auf Umwelteinflüsse wie Zugluft, Kälte, Staub oder Schmutz. Diese können zu einer Reizung der Bindehaut führen, die es dann wiederum bakteriellen Infektionen erleichtert, sich am Kinderauge zu vermehren.

Außerdem pflegen Kinder oft einen engen Kontakt zueinander. Das ist zwar sehr positiv für ihre Entwicklung. Es erhöht aber auch das Risiko, dass sich Infektionen innerhalb der Kindergruppe und der Familie verbreiten. Hygienische Maßnahme wie regelmäßiges Hände- und Gesichtwaschen beugen bakteriellen Infektionen vor.

F: Kinder sind bis zu einem bestimmten Alter wenig auskunftsfreudige Patienten. Außerdem kann ihnen vielfach gar nicht klar sein, dass sie schlechter sehen als andere Kinder. Wie finde ich heraus, ob mein Kind gut sehen kann?

Dr. M. Asiyo-Vogel: Bestimmtes Verhalten wie tollpatschige Bewegungen, häufiges Stolpern, Blinzeln, Stirnrunzeln, Augenreiben, Augenrollen oder Schiefhalten des Kopfes, Kopfschmerzen, manchmal auch rote Augen und Lichtempfindlichkeit können auf schlechtes Sehen hinweisen.

Das körperliche Verhalten bei Spiel und Sport oder Auffälligkeiten beim Lesen-, Schreiben- und Rechnenlernen können ebenfalls auf ein Sehproblem hindeuten.

Augenuntersuchung an einer Schule in Hoima, Uganda.
(c) Gregor Kuntscher. Augenuntersuchung an einer Schule in Hoima, Uganda.

F: Brillenträger in die erste Reihe! Kinder in Deutschland werden regelmäßig vom Kinderarzt einer Augenuntersuchung unterzogen und gegebenenfalls an einen Augenarzt überwiesen. Wenn sie in die Schule kommen, sind Augenprobleme in der Regel bereits bekannt. Warum ist es in unseren Partnerländern in Subsahara-Afrika so wichtig, dass Lehrkräfte für dieses Thema sensibilisiert werden?

Dr. M. Asiyo-Vogel: Bildung ändert das Schicksal und das Sehen trägt viel zum Bildungserfolg bei.

Der richtige Satz „Brillenträger in die erste Reihe“ setzt voraus, dass eine Kurzsichtigkeit bereits erkannt ist. Daher sind regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen so wichtig, und dies setzt natürlich voraus, dass die Lehrer die Problematik kennen.

Solange es weiterhin an Aufklärungsmöglichkeiten für die gesamte Bevölkerung über Wichtigkeit von Seh- und Augenproblemen von Kinder mangelt, kommt den Lehrern eine Schlüsselrolle zu. Sensibilisierte Lehrkräfte in unseren Subsahara-Partnerländern können eine Brücke schlagen und über die Kinder auch zu den Eltern und dem sozialen Umfeld ein Bewusstsein für die Augengesndheit weitertragen.

Für die Augenheilkunde sensibilisierte Lehrkräfte erfüllen eine vorbeugende Rolle im Gesundheitssystem und entlasten die sehr begrenzte Zahl an Augenärzten und augenärztlich ausgebildeten Mitarbeitern, zumal Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten häufig sehr weit entfernt sind.

Wenn sie Augenprobleme erkennen, können die Lehrer die Kinder rechtzeitig weiterleiten und für eine Behandlung oder eine Brille sorgen. Medizinische Versorgung der Kinder durch die Sensibilisierung der Lehrer unterstützt so den Kampf gegen die Sehschwäche bei Kindern, insbesondere bei vermeidbaren (Infektionen!) und behandelbaren (Brille!) Sehleiden.

F: Es ist gewiss keine Absicht: ein kleines Baby piekst beim Spielen einem anderen Baby, der Mutter oder dem Vater mit dem Finger ins Auge. Zu den typischen Beschwerden zählen unter anderem starke Schmerzen, gerötete Augen, Fremdkörpergefühl, Sehstörungen. Was ist passiert? Und was ist zu tun?

Dr. M. Asiyo-Vogel: Diese Beschwerden deuten auf eine Hornhautabschürfung hin. Die Hornhaut ist der vordere durchsichtige Augenteil. Solche Verletzungen können schnell heilen, aber sie machen das Auge anfälliger für Infektionen, die zu einer ernsthaften Augenbeschädigung führen können. Das Auge nicht reiben! Falls ein Fremdkörper zu sehen ist, sollte es mit Wasser ausgespült werden. Es sollte ohne Verband gelassen werden, um die Ausbreitung von Bakterien zu hindern, und es sollte möglichst bald augenärztlich versorgt werden.

F: Lernprozesse laufen bei Kindern zu 80% über das Sehen ab. Was können Eltern präventiv für die Gesundheit dieses wichtigen Sinnesorgans tun?

Dr. M. Asiyo-Vogel: Vorsorgeuntersuchungen beim Augenarzt verschaffen Klarheit und Sicherheit. So wird z. B. rechtzeitig die Notwendigkeit einer Brille oder einer Schielbehandlung erkannt.

Ebenfalls wichtig: eine ausgewogene gesunde Ernährung, die Minimierung von Verletzungsrisiken und Hygiene. Dazu gehört es auch, die Kinder zu regelmäßigem Gesicht- und Händewaschen anzuhalten.

Spiele, die das Sehen fördern, können ebenfalls einen Beitrag zur Sehentwicklung leisten. Bei kleinen Kindern kann dies beispielsweise durch Bauklötze in verschiedenen Formen, Größen und Farben als Anreiz für die Entwicklung der Sehschärfe, des räumlichen Sehens und der Augenkoordination geschehen. Eltern sollten Spielen im Freien – auch sportliche Aktivitäten aller Art – attraktiv machen und über Verletzungsgefahren bei Spiel und Sport aufklären.

Bei Alvin hatte sich nach einer Augenverletzung ein Grauer Star entwickelt. Er konnte operiert werden.
Bei Alvin hatte sich nach einer Augenverletzung ein Grauer Star entwickelt. Er hatte Glück: eine Operation konnte sein Augenlicht retten.

F: In unseren Breitengraden kennen wir den Grauen Star als klassisches Altersthema. Die Linse trübt sich im Zuge des natürlichen Alterungsprozesses ein – ein kleiner operativer Eingriff verschafft schnelle Abhilfe. Warum sind in Subsahara-Afrika bereits Kinder vom Grauen Star betroffen? Warum ist es so wichtig, dass die Erkrankung frühzeitig erkannt und behandelt wird?

Dr. M. Asiyo-Vogel: Kindlicher Grauer Star, die Trübung der Augenlinse, führt zu irreversibler Sehschwäche, die das weitere Schicksal des Kindes beeinträchtigt.

Viele Mütter leiden unter Infektionen, die einen Grauen Star bei ihren Kindern hervorrufen können. Bei Frauen, die nicht gegen Röteln geimpft sind und während der Schwangerschaft an Röteln erkranken, besteht beispielsweise das Risiko, ein Kind mit angeborenem Grauen Star zu gebären. Oftmals haben die Frauen keinen Zugang zu Informationen über Therapien und Impfmöglichkeiten.

Ein Grauer Star bei Kindern kann auch durch Mangelernährung und nach schweren Augenverletzungen entstehen, vor allem, wenn diese nicht rechtzeitig behandelt werden. Das Risiko für Mangelernährung ist in Subsahara-Afrika erhöht. Das allgemeine Fehlen von rechtzeitiger sachkundiger chirurgischer Versorgung zeigt sich auch am häufigen Vorkommen des kindlichen Grauen Stars.