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Weg von der Entwicklungshilfe – hin zur Entwicklungs-Zusammenarbeit

16.03.2023
Sehtest an einer Schule. Eine junge Frau steht vor einer Sehtafel.
Sehtests an einer Schule in Hoima, Uganda
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  • Augengesundheit

„Zum Tango gehören immer zwei. Und die müssen harmonieren, einander kennen, sich aufeinander einlassen. Was auf dem Tanzparkett gilt, trifft auch auf die Entwicklungszusammenarbeit zu. Spender und Empfänger müssen auf Augenhöhe interagieren – nur so können wir in Subsahara-Afrika eine grundlegende und nachhaltige Verbesserung der Gesundheitssysteme im Allgemeinen und der augenmedizinischen Versorgung im Besonderen erreichen.“, davon ist Dr. Mary Nyamasi Asiyo-Vogel überzeugt.

Beim jährlichen Fachkongress der Augenärztlichen Akademie Deutschlands (AAD-Kongress) spricht sie am 18. März im Rahmen des Kurses internationale Ophthalmologie über die Herausforderungen und Chancen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Gemeinsam mit Dr. Karsten Paust, Augenarzt und Projektleiter von TanZanEye, Dr. Martin Anderson,Augenarzt und Mitarbeiter im Arclight Project der University of St. Andrews sowie Dr. Henning Baur, seit vielen Jahren im Bereich Internationales Projektmanagement tätig, fordert sie einen längst überfälligen Perspektivenwechsel.

Als Augenärztin mit Berufserfahrung sowohl in Europa als auch in Afrika, als Afrikanerin mit Wurzeln südlich der Sahara und Lebensmittelpunkt im Schleswig-Holsteinischen Lübeck kennt Dr. Mary N. Asiyo-Vogel das komplexe Thema aus gleich mehreren Blickwinkeln.

Dr. Mary N. Asiyo-Vogel bei einer augenärztlichen Untersuchung in Kenia
… und bei einer augenärztlichen Untersuchung in Kenia

Konsequent beleuchtet sie die auf der Spender- und die Empfängerseite vorherrschenden Denkmuster und Einstellungen, erklärt wichtige Hintergründe und zeigt auf, welche Schritte nötig sind, um echte Verbesserung zu erzielen. Die Teilnehmer*innen an dem Kurs erwarten einige überraschende Erkenntnisse.

Eine Beziehung voller Missverständnisse

In ihrem Vortrag zeigt Dr. Mary N. Asiyo-Vogel auch, dass selbst im Jahr 2023 noch Basisarbeit zu leisten ist: fehlendes Wissen, verzerrte Bilder und irrige Annahmen über Afrika sowie das komplexe Erbe des Kolonialismus auf Geber- und Spenderseite – um nur einige Punkte zu nennen – machen eine echte Begegnung auf Augenhöhe oftmals unmöglich. Das hat Auswirkungen auf die Entwicklungszusammenarbeit, die Nachhaltigkeit und die Wirkung von Programmen der Entwicklungszusammenarbeit.

Wussten Sie, dass sich von den 26 am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt insgesamt 16 auf dem afrikanischen Kontinent befinden? Während Europa einen Defizit-zentrierten Blick auf Afrika wirft, verbindet die junge afrikanische Generation ihren Heimatkontinent vor allem mit Wachstum von Wohlstand und Gleichheit, mit Verbesserung, Fortschritt und Produktivität.

Dringend notwendige Verbesserung der augenmedizinischen Versorgung

Ein paar Fakten und Zahlen machen schnell deutlich, wie dringend der Handlungsbedarf ist. Für das Jahr 2020 wurde als Ziel festgelegt, das Verhältnis von Augenärzten pro Million Einwohner auf vier zu erhöhen – das heißt, dass ein Augenarzt auf 250.000 Einwohner entfällt. Wenig genug.

Die Augenklinik in Zorgho, Burkina Faso, gibt die Sprechstunden zweisprachig an.

Im Jahr 2011 schafften dies nur fünf von 22 afrikanischen Ländern. Zum Vergleich: für Deutschland mit rund 84 Millionen Einwohner würde diese Quote bedeuten, dass es landesweit 336 (!) Augenärzt*innen gibt. Tatsächlich gibt die Bundesärztekammer die Zahl von 7.901 Augenärzten (Stand 31.12.2020) an. Ein Beispiel, das die Situation in Afrika verdeutlicht: in Mosambik (sämtliche Angaben beziehen sich auf 2019) gibt es für die geschätzten 30,3 Millionen Einwohner genau 20 Augenärzte und 92 Optometristen (Spezialisten für Augenmessungen, Anpassungen von Sehhilfen, Erkennung und Behandlung von Augenerkrankungen). Die Zahlen für andere afrikanische Staaten dürften sich nicht allzu stark davon unterscheiden. Hinzu kommt, dass die ländlichen Regionen dramatisch unterversorgt sind. 70% der Augenärzt*innen arbeiten in den Hauptstädten.

Der globale Norden bestimmt

Noch immer dominieren Personen aus Ländern mit hohem Einkommen das internationale Gesundheitswesen, in den meisten internationalen Organisationen mangelt es auch im Jahr 2023 an (geografischer) Vielfalt. Noch immer wird ein Wissens- und Kompetenzgefälle angenommen – mit dem Erfolg, dass der globale Norden noch immer über die Dringlichkeit von Gesundheitsproblemen und deren Lösungsmöglichkeiten im globalen Süden entscheidet. Zum Teil werden so Programme entwickelt, die an den sozioökonomischen und sozialen Realitäten der afrikanischen Länder völlig vorbeigehen. Als Beispiel führt Dr. Mary N. Asiyo-Vogel Programme zur Ausrottung des Trachoms an, bei denen chirurgische Aspekte im Fokus stehen. Dabei wäre es ebenso wichtig, die Lebensumstände der Menschen im Auge zu behalten, insbesondere die Frauen über die Krankheit aufzuklären und die Wasser- und Hygienesituation zu verbessern.

Das Ziel ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe

Eine „Kooperations“-Beziehung, in der der Leistungsgeber einfach Handlungen im Namen des Leistungsempfängers ausführt und diesen als Subjekt behandelt, wird noch immer als normal angesehen. Dass es auch anders gehen kann, zeigt Dr. Mary N. Asiyo-Vogel am Beispiel von Programmen im Bereich der Kinderaugengesundheit in Uganda von Light for the World. Diese wurden von der internationalen Hilfsorganisation für Augenheilkunde und inklusive Entwicklungszusammenarbeit gemeinsam lokalen Partnern entwickelt und orientieren sich an der Situation vor Ort. Im Fokus stehen im ersten Schritt die Ermittlung von Bedarf, Durchführbarkeit, Akzeptanz und Wirksamkeit von Schulungsprogrammen. Erst dann kann im Sinne einer wirksamen und nachhaltigen Programmarbeit Fachwissen vermittelt werden.  

Maßnahmen für eine bessere Kinderaugengesundheit

Ganz entscheidend für die Verbesserung der Augengesundheit sind die Ausbildung und Schulung von Fachpersonal sowie eine hochwertige technische Ausstattung. In Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium und der Makere-Universität wurde eine vierjährige Ausbildung für Optometrie eingerichtet. Parallel dazu wurde eine Infrastruktur in der Optometrie wurde aufgebaut, ebenfalls mit Fokus auf eine lokale Verankerung. So konnten eigenständige optometrische Dienste für die bedürftigen Regionen Ugandas eingerichtet werden.

Mobiler augenmedizinischer Einsatz in Woggera, Äthiopien.

Außerdem wurde mit der lokalen Universität eine Broschüre entwickelt, um das Bewusstsein für die Augengesundheit im Kindesalter zu schärfen und die Augengesundheit in die Ausbildung von Lehrern zu integrieren. Denn solange Gesundheitssysteme wenig entwickelt und weite Teile der Bevölkerung nicht darüber aufgeklärt sind, wie zentral die Kinderaugengesundheit ist, kommt den Lehrern eine Schlüsselrolle zu: wenn sie Augenprobleme erkennen, können sie die Kinder reichzeitig weiterleiten und für eine geeignete Behandlung sorgen.

Kinder, die sonst möglicherweise die Schule abgebrochen hätten. Denn Kinderaugengesundheit ist zentral für die Schulbildung. Und Bildung ist für Kinder DIE Möglichkeit, der Armut zu entkommen.