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Wolf Schmidt trainiert seit 2009 das erfolgreiche Blindenfußballteam des FC St. Pauli. In einem Hilfsprogramm von Light for the World coacht er den angehenden Trainer im Südsudan – trotz und wegen COVID-19 per Video-Call.
Du giltst als einer der Pioniere des Blindenfußball. Wie kamst Du zu diesem Sport?
Wolf Schmidt: Eigentlich habe ich die sogenannte Blindenreportage im Fußball im Jahr 2004 mit aufgebaut und bin dann erst zum Trainer geworden. Blinde Menschen haben Kopfhörer, die es Ihnen ermöglichen, genauso wie Sehende in Echtzeit das Spiel auf ihren Plätzen zu verfolgen. Zum Beispiel: Das ganze Stadion macht WOUUUU und in der Zeit sehen alle Sehenden was passiert. Ein blinder oder stark sehbehinderter Mensch braucht die Information, um genauso mitgehen zu können. Diese Hörplatzreportagen waren der Bereich, in dem ich erstmals mit blinden Menschen und Fußball zu tun hatte.
Viele Menschen haben keinen Begriff, wie so ein Fußballspiel ausschaut. Kurz für alle, die noch nicht wissen, wie das geht…
Wolf Schmidt: Das ist ein ganz einfacher Vorgang. Da spielen vier blinde bzw. vollständig verdunkelte Spieler oder Spielerinnen gegen vier andere. Ein handballfeldgroßes Spielfeld, an den Seiten sind Banden, ein Torhüter, der sehen kann, in einem winzigen Strafraum. Und dann spielt man vier gegen vier mit Klingelball, damit alle den Ball hören können, frei gegeneinander Fußball.
Wie finden die SpielerInnen das Tor?
Wolf Schmidt: Hinter dem Tor steht ein sogenannter Rufer oder Guide aus dem eigenen Team; denn wenn ich das Tor nicht sehe, muss ich es hören. [Wolf Schmidt ruft laut] Hier noch sechs Meter bis zum Tor, Tormitte ist hier… Damit haben die Spieler ein akustisches Ziel. Jedes Tor, jedes Hütchen muss ein akustisches Signal sein. Automatische Signale wie bipbipbipbip – das ist ein bisschen schwierig. Im Blindenfußball braucht es mindestens so viel sehende wie blinde Menschen. Daher hat diese Sportart ein ganz hohes inklusives Moment in sich.
Welche Rolle spielt ein Sport wie der Fußball für das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungen?
Wolf Schmidt: Ich kann Fußball sehen, ich sehe Grafiken und alles Mögliche über Fußball. Das ist ja ein durchanalysierter Sport. Ein Mensch, der von Anfang seines Lebens an nicht sehen konnte, hat eine ganz andere erlebnis-räumliche Wahrnehmung. Das ist wie ein Abgleich zweier verschiedener Welten, und dieser Abgleich, auch in den Rollen, also Verständnis füreinander zu finden, um gemeinsam in dieser Sportart zu agieren, das ist die Faszination, die diese Sportart ausmacht.
Wie trainiert ihr überhaupt aktuell, wo Infektionsschutz großgeschrieben ist?
Wolf Schmidt: Blindenfußball ist ein Kontaktsport, da kommen Leute zusammen und kämpfen um den Ball. Das fällt im Moment aus. Sondergenehmigungen für Trainings, sodass man individuell arbeiten kann, gab es schon während des Lockdown. Ich habe ein Konzept geschrieben, wie man individuell im Eins und Eins-Modus trainieren kann.
Durch die COVID-Prävention wird man zurückgeworfen auf eine Notwendigkeit des Basis-Trainings. Wenn man sich vorstellt, ein blinder Mensch möchte Sport machen, dann ist das Problem, wo ist was. Dadurch kommt er oder sie nicht in die Gelegenheit, die Leistungsgrenze zu erreichen. Ein blinder und ein sehender Mensch laufen zum Beispiel zusammen, läuft der blinde Mensch wie eine Rakete ist der sehende seine Grenze. Der blinde allein kann aber nicht loslaufen ohne die Gefahr, gegen etwas zu laufen. Ein blinder, ein sehender gemeinsam können sportliche Grenzen erreichen. Und das ist auch im Blindenfußball eine gute Anfangslernform. Darauf werden wir Corona-bedingt zwar reduziert, das ist aber auch die Ausgangsbasis von Training.
Derzeit coacht Du Simon und unterstützt ihn beim Training der Blindenfußballteams im Flüchtlingslager Mahad in Juba. Worauf kommt es dabei an?
Wolf Schmidt: Es geht erst einmal darum im Gespräch zu hören, was ist die Motivation der Teilnehmer dort. Was für Möglichkeiten zu spielen gibt es dort? Was ist das Ziel? Dann kann man Schritt für Schritt den Rahmen, die Bedingungen formulieren, in denen die Trainer selber ihre Inhalte entwickeln. Es ist wichtig, dass man nicht was draufstülpt – so müsst ihr es machen.
Behutsam sein und gucken, wie agieren die Leute da, und nicht die eigene Idee schon durchzuziehen: Schaut mal ihr könntet jetzt schon das nächste Land auf der paralympischen Landkarte sein.
Das Coaching würdest Du in normalen Zeiten im Rahmen eines persönlichen Treffens durchführen? Was ist online anders, besser oder schlechter?
Wolf Schmidt: Wir haben jetzt einfach mehr Zeit, als wenn ich für ein paar Tage dort wäre, mehr Zeit, um genau rauszufinden, was die Bedingungen sind. Und bis zum nächsten Coaching kann ich mich zwischendurch damit beschäftigen und verarbeiten und viel klarer hinterfragen.
Wie pass ich das Spiel an, wie pass ich die Trainingsbedingungen an, damit Menschen von Anfang an Freude finden, in der tollen Wettkampfsportart Fußball. Das ist meine Philosophie. Und die freue ich mich, vermitteln zu können.
Was hat dich gereizt an der Zusammenarbeit mit dem Programm Sport für Frieden von Light for the World im Südsudan?
Wolf Schmidt: Meine Überzeugung ist, dass Blindenfußball für blinde Menschen eine ganz, ganz tolle Sportart ist. Was ich immer wieder höre und auch erlebt habe, dass blinde Menschen, die Fußball spielen, die Freiheit genießen, mit dem Ball am Fuß sich auf dem Platz frei bewegen zu können.
Und aus Deutschland heraus mit etwas Verbindendem zu agieren in einer Region wie dem Südsudan, in dem es so viel Elend und gleichzeitig so viel geopolitische Interessen gibt, ist mir echt ein Anliegen. Die Sportart ist wirklich in jedem Sinne grenzerweiternd und trägt zum Verständnisaufbau bei. Und das ist ein wunderbarer Aktionsraum. Alle diese wunderbaren, menschlichkeitsveredelnden Aspekte werden bei dieser Sportart mittransportiert – ganz ohne Awarness-Workshop.